Spinnenwege: Erdbeerfeuer
Der kalte Flieder hat mich geweckt. Draußen leben Wind und Nacht. In meinem Zimmer wächst Mond. Er weist mich über den Atlasteppich zum blauen Regal. Dort, wo die kleinen Tiere wohnen, die Weichfelle und Knopfaugen, die Liebewesen. In meinem Kinderzimmer.
Oben: der Bauernhof mit Schaf und Schwein, dem Hahn, der Kuh. In der Mitte: der Wald: Fuchs und Has’ und Igel, Dachs, ein Reh. Darunter dann die weite Welt: Giraffe, Zebra, Elch, ein Elefant, der Pinguin … Nein, kein … Pinguin. Er fehlt, ist nicht an seinem Platz, wo er hingehört, weil er es muss, weil ich es will. Es so sein soll.
Statt dessen sucht er Schutz hinter Schaf, dem Schwein. Doch Mond zeigt mir sein Grinsen. Und alle anderen schauen auch voll Bösehohn, bohren ihre schwarzen Blicke in mein Bett, als wären ihre Kulleräugelein Stecknadeln mit Leibern spitzdünn meterlang.
Und ich stehe auf, finde Hausschuhe, den Bademantel. Gehe zum Schrank, nehme den Koffer, Rucksack, den Turnbeutel mit dem Olympiadackel. Und ich stelle mich vor den Mond, so dass mein Schatten ihre Augen schließt. Nun sind sie blind, fühlen nur, wie ich einen nach dem anderen packe, in den Turnbeutel, Rucksack, den Koffer. Wir wollen verreisen. In ein fernes Land!
Zuerst hinten zum Haus hinaus, in den Garten. Ganz hinten, zwischen Kompost, Brombeer, Pfaffenhut: das Erdbeerbeet. Die Pflanzen schlafen, träumen unter Strohgedeck vom Summen der Bienen. Am Ziel! Beinah.
Nur noch das Gepäck abgestellt, vorsichtig. Ich höre wie der Dackel ängstlich knurrt, die Freunde warnen will. Aber er traut sich nicht.
Nun zum Wellblechschuppen, wo Vatis Rasenmäher, die Gartengeräte. Ich nehme den Pflanzstock; zurück zum Beet. Auf Knien ziehe ich mein eigenes Muster in die harsche Erde. Schöne Kästchen, wie im Rechenheft. Doch groß genug, dass selbst der Elefant Platz in seinem Kasten findet, Wo er hingehört, weil er es muss, weil ich es will. Es so sein soll.
So stelle ich sie alle auf. Zuerst den Bauernhof, danach den Wald, dahinter dann die weite Welt. Und keiner wagt es, mich anzuschauen, sich vom Fleck zu rühren. Denn sie haben Angst. Und Hoffnung, dass ich sie nur erschrecken will. Sie haben den Kanister noch nicht gesehen, mit dem ich zuvor ihr Rechenbeet getränkt.
Als die Giraffe ihn entdeckt, ist es bereits zu spät. Ein Streichholz nur, der Wind. Und Mond lächelt, als sie zu laufen beginnen, die kleinen Flammenfelle. Wie das Mädchen, das ich in der Tagesschau gesehen habe, das aus dem Fernseher laufen wollte, weil es Feuer regnete.
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