Spinnenwege: Fiesta Mexicana
„Du musst einmal unter andere Kinder!“, sagt Mutti und verkündet, dass wir am Samstag zum Faschingsfest nach Woltwiesche fahren. Noch ein Tag mehr wie ‚Turnverein‘ und ‚Gottesdienst‘ und ‚kleine Pause‘ und ‚große Pause‘ – eigentlich ein Tag wie jeder. Andere? Mir sind die Kinder genug, die ich kenne. Wie eine große Wolke, die immer dahin wandert, wohin ich gehe, mir nur Schatten lässt. Ich friere dem Vergnügen entgegen: Montag, Dienstag – fallende Kalenderblätter grinsen mir zu.
Mutti freut sich, schneidert mir einen Poncho und zaubert bunte Bänder an meine alten Winterstiefel. Dann geht es zu Büttners. Dort langweilen sich lustige Faschingshüte an der Wand und erzählen Geschichten. Ein roter Sombrero aus Pappe muss sich verabschieden. Und neue Zündplättchen für meinen Revolver bekomme ich auch. Ich setze eine schwarze Maske auf, lächle Mutti zu. Sie weiß ja nichts von der Wolke. Fallende Kalenderblätter: Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Mir ist kalt.
Samstag. Es ist soweit, Mutti verkleidet mich: Poncho, Stiefel, ein schmaler Bartstrich mit ihrem Schminkstift. Sie bewundert ihr Werk. Nun geht es los, im Auto über die Dörfer. Auf dem Parkplatz habe ich Mühe, ihr klarzumachen, dass ich nicht mit lautem ‚Peng, peng‘ in das Gasthaus stürmen möchte. Wenn sie entdeckt, dass ich meinen kleinen Colt gegen Vaters echten ausgetauscht habe, erschrickt sie nur. Dabei möchte sie doch, dass ich fröhlich bin …
Mutti führt mich zu einem Tisch in der Mitte des Saales. Dort sitzen bereits zwei Astronauten, ein Clown, eine Hexe, ein Marienkäfer. Und ein Junge, der Gerd Müller sein möchte. Mit leichter Stimme bestellt sie mir Brause, Bockwurst und Kartoffelsalat. Ich mag keinen Kartoffelsalat. Und keine Astronauten, Clowns, Hexen. Und keine Jungen, die wie Gerd Müller sein möchten.
Ob der Marienkäfer fortfliegen kann? Es ist kalt im Saal.
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