Spinnenwege: Kleineweltenschatz (1)

Ich habe einen Schatz gefunden. Nun gehört mir die Welt. So wie allen Schatzfindern, den Spaniern damals, dem Schliemann oder jenen aus den Märchen. Dabei musste ich gar nicht lange suchen, in der Gegend herumfahren und auch keine tiefen Löcher graben. Ich habe ihn einfach entdeckt, weil ich ihn erkannt habe! Bei uns im Haus, unten im Keller, im letzten Raum, noch hinter Vaters Bastelwerkstatt. Dort, wo die Hasen hängen, ganz rot, nackt, bloß, nach der Jagd, und die Kartoffeln schlafen, im Traum ganz lange Augen bekommen.

Da stehen sie: Kleineomis leere Marmeladengläser, fein ordentlich nach Größe und Form aufgestellt, die sie gesammelt hat, um immer wieder neue Konfitüre einzukochen. Ja, da war sie komisch, nahm immer die vornehmen Worte für die Dinge, sagte Toilette statt Klo, Korridor für Flur, Restaurant, auch wenn es nur ins Gasthaus ging zu Ochsenschwanzsuppe oder Schmalzbrot. Und eben nie Marmelade. Eingemacht hat sie trotzdem immer sehr gerne; Kirschen und Pflaumen, die für sie Reneclouden oder Mirabellen waren, die Beeren in allen Sorten, Hagebutten sogar und einmal Banane.

Nun ist sie tot, schon beinahe ein Jahr, und Mutti meint, einmachen ist etwas für arme Leute, so wie Bindfäden aufbewahren oder Geschenkpapier und altes Lametta bügeln. Doch an die Gläser traut sie sich trotzdem nicht ran, da ist sie noch immer eine gute Tochter.

Und ich ein guter Enkelsohn, der schätzt, was für ein schönes Erbe ihm seine Großmutter hinterlassen hat. Eine ganze Welt. Was sage ich, ganze Welten! Denn ich weiß, was ich tun muss, um meinen Schatz zu heben, damit dann alles gut wird. Und ich froh und fast so etwas wie der liebe Gott bin.

Ich nehme einfach alle Stunden, die schön waren, und pflanze sie in die Gläser hinein! Und auch die bösebös Tage. So wie in Schneekugeln. Dann kann ich das Glück immer wieder in die Hand nehmen und darin sein. Und das Unglück in die hintersten Ecken stellen, wo fast gar kein Licht mehr hin kommt und ihm die Spinnen Angst machen, hoffentlich.

Zunächst koche ich die Schönstunden ein und bastele kleine Figürchen aus Wachs. Wie gut, dass ich über die letzten Jahre die alten Weihnachtsbaumkerzen aufbewahrt habe. Und in Silvesternächten Streichhölzer stiebitzt, wenn Vaters Bowlenblick nicht mehr so genau hinschaute.

Kugelköpfchen werden zwischen Daumen und Zeigefinger geboren, Zweige, Ästlein, ein wenig Wolle, Fell, Fitzelchen von buntem Stoff, ein paar Schrauben, Draht und dies und das. Die Leiber nehmen Gestalt an, werden gewärmt. Nun nur noch Gesichter gezaubert, Augen, Nase, Mund; zwei drei Filstiftstriche zum hören und sehen, riechen und sprechen.

Als erstes lasse ich Kleineomi wieder auf die Welt kommen, auf meine. Dort sitzt sie dann an ihrem Klavier und spielt mir etwas vor von den Liedern , auf denen ich immer so gerne getanzt bin, fort. Nur dass nun die Töne nicht mehr verfliegen können und auch die Tasten immer wach bleiben,

Für Vater wächst ein kleiner Hochsitz in einem anderen Glas. Ganz in Loden er und einen Rehbock bekommt er auch, auf den er wieder und wieder schießen kann, ohne dass er ihn erlegt. Und ich neben ihm auf der schmalharten Kiefernbank, in Freude, dass das Tier gehört hat, wie mir der Rucksack herunterfiel, die Äste brach, so dass es dem Schuss entkommt. Immer und immer wieder. Und die Sonne lächelt dazu im Untergehen.