Spinnenwege: Kleineweltenschatz (2)

Mutti lasse ich malen, mit mir zusammen am großen Tisch im Esszimmer. Eine Ritterburg mit tausend Türmchen, Zinnen und Zugbrücken. Auf denen es nur so wimmelt von Helmen und Kettenhemden, Helebarden und Armbrüsten. Und Mutti wie mir fuhrwerkt dabei immer die Zunge im Mundwinkel herum, das habe ich von ihr.

Auch unser Hund gehört dazu. Ihn zaubere ich auf eine unserer Amazonasreisen durch das Eisvogelland mit Erlenbraun, Federflaum und Kravogelgesang. Aber auf die Mücken und Blutegel verzichte ich, dann können unsere Herzen ungestört ganz tief atmen!

Und nun lasse ich es schneien. Wobei mir natürlich der Wunderschnee aus den Kugeln vom Weihnachtsmarkt fehlt. Doch ich nehme Zucker dafür, ein wenig Puder und eine Prise Mehl. So werden meine Welten süß und weich. Glitzern wie ein Fest. Und machen satt wie stark.

Schönstunden brauchen Zeit, damit sie dauern können. So komme ich erst am nächsten Tag dazu, das Bösebös zu schaffen; ich bringe es direkt aus der Schule mit. Wolfgang, der für mich nur Weh, die Gänge durch das Brennnesselfeld, die Nacht im Ruinenkeller, das Pinkeln an den Kuhstromzaun. Auch Stephan und die Anderen, die mir eine dunkle Wolke sind, die immer dahin zieht, wo ich die Sonne suche. Und Herrn Stimpe mit seinem verhassten ‚tea-age‘.

Sie alle verschwinden in den feinen Gläsern. Und ich mit ihnen. Nur dass ich jetzt keine Augen und Ohren mehr habe, ihre Qualen zu verstehen. Dafür aber einen großen, großen Mund zum Anbrüllen und Nase abbeißen. Und dicke Arme mit starken Fäusten.

Auch für sie fällt Schnee, doch nicht weißweich und glitzerschön. Für sie schneit es Ascheflocken, dick und rußfett: die Mathefünfen, Vokabeltests in Englisch und Latein, Klassenfotos, die Aufnahmen vom Schullandheim und das Bild von der Monatsmarke, auf dem ich so doof aussehe mit dem albernen Haarschnitt. Alles flugs verbrannt und hinein damit, dass ihnen Angst und Bange wird, den Wehs und Stuhlwegziehern und Fünfengebern meiner alten Welt.

Denn hier, in meiner neuen kennen sie sich nicht aus und wissen nicht, was mit ihnen geschieht. Herrn Stimpe hat sich sogar schon in die Hose gemacht, bevor ich das Glas verschlossen habe. Und Wolfgang weint! Die Kartoffeln schauen mit ihren langen Augen zu ihnen hinüber und runzeln strenge Blicke über diese Störung.

Nachdem ich sie alle weit hinten auf das unterste Regal mit den Schrumpeläpfen gestellt habe, höre ich aus ihren Gläsern ein lautes Gewimmer und Jammern. Durch den ganzen Keller hindurch. Ich mache das Licht aus. Und freue mich.