Spinnenwege: Tannengrab
‘Die Tage werden wieder länger!’, hat Mutti gesagt und Fresien gekauft. Die Süßbuntblumen, die mit ihrem Duft die Weihnachtsgeister aus den Zimmern vertreiben. Engel, Glocken, die Krippe und Strohstern schlafen schon wieder auf dem Dachboden. Die Tanne im Garten, wo sie auf Ostern wartet.
Frau Hoffmann und Frau Uhlenhaut haben auch Fresien gekauft. Und die anderen in der Siedlung ebenso. Und überall liegen sie hinten auf der Feuerstelle; vor der Pforte und harren der Osternacht oder der Müllabfuhr – die toten Weihnachtsbäume.
Ich sehe Schneeschmutz in ihren Zweigen, letztes Lamettahaar, traurig winken. Und gehe unsere Straße entlang, schaue zu, wie die Nachbarskinder sie durch den Rinnstein treiben. An einem kleinen Baum hängt eine zerbrochene Kugel, die mich anschaut wie ein beinahtot Vogelkind, aus Nest gefallen.
Ich nehme sie in die Hand, drücke ganz fest zu, bis, bis sie Blut in meine Faust malt. Und ich streichle sanft Rot über die noch gar nicht kahlen Zweige, beschließe Brüderschaft mit der Tanne, den anderen Toten. Und es fängt an zu schneien …
Zuerst ziehe ich unseren in meinen Verschlag aus Bretterholz. Und klettere über Zäune, winde mich durch Hecken, mache Besuche: Spannhuths, Rodermunds, Wittenborns. Und es schneit. Hoffmanns, Uhlenhauts. Ich schminke mir Tod ins Gesicht.
Und es schneit. Weißröckchen tanzen im Laternenlicht. Und ich feiere Weihnachten. Ziehe mit dem Schlitten los, die Straßen entlang und zurück. Und zurück und entlang. Bis kein Zweig mehr hineinpasst, in mein Haus.
Und ich singe bei jedem Hammerschlag, bei jedem weiteren Brett, mit dem ich die Tür verschließe, die Tür von meinem Tannengrab. Und ich lasse mich in den Schnee fallen. Und ich lasse mich träumen. Es schneit.
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