Spinnenwege: Weitereiseangst (1/2)
Heute war Mutti ein guter Mensch. Sie hat alte Kleidung gesammelt. Für Kinder in einem fernen Land, dessen Name nicht einmal mein Schulatlas kennt. Hinter Indien soll es liegen und sehr arm sein.
Den ganzen Tag ist sie fröhlich singend durch das Haus gelaufen und hat viele Tüten gepackt. Auch mein Pepitaanzug und die kleine rotblaue Fliege werden nun auf eine weite Reise geschickt. Nur die Mottenkugeln sollen hier bleiben. Und meine Erinnerung an die Tage in Pepita, die Tage in Angst waren.
Dabei war Mutti immer lustig, damals, als diese Tage erwachten und dann aufstanden, mir eine Hölle zu sein. ‚Es gehts ins Städtchen!, flötete sie, ‚mit der Bummelbimmelbahn!“. Dann holte sie die Fessel hervor, das Geschirr für ‚ihr kleines Wildpferd, ihr kleines böses Wildpferd‘. Und auch die Schachtel mit den Tabletten, die den Traum vertrieben. Jeden. Das Licht im Kopf auf Grau stellten. Ein Ohnebildgrau. Ein Schlimmnebelgrau.
Und dann ging es los. Ins Städtchen, mit der Bummelbimmelbahn. Und schon beim Einsteigen, dieses Zurren, wenn ich zu schnell. Oder zu langsam, trödelte. ‚Trödeljochen!‘ Lederschnüre in den Schultern, Striemenspuren wie die Schienen der Bummelbimmelbahn. Blaulilagrün unter kleinem Pepita, schwarzweiß.
Und dann der Klapps in den Nacken, wenn ich wen zu frech anguckte. So lieber den Blick nach unten zum Wiedererkennen des Immerwiederwegs zum Doktormann. Plattenmuster, Asphaltmeter, Kopfsteinpflaster, Bordsteinkanten, Bürgersteige – ganz viele Graubuntfarben, Muster, Linien – doch, immer das Zurren, der Ruck. Und immer auf die falsche Linie getreten, auf die, die das Unglück bringt.
Und Schuhe zählen – immer nur bis sieben – und dann wieder von vorn. Soviel Schuhe und immer, immer wieder dieses Zurren, wenn ich mal stehen blieb, die Geschichten hören wollte, die von den Schuhen erzählt wurden. Oh ja, sie wollten mir viel erzählen, das wusste ich! Doch ich hörte sie nicht mehr genau; nur sehr leise.
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